Die Olympische Klasse

 


Mitte Mai 1907 traf sich J. Bruce Ismay mit Lord Pirrie in dessem eindrucksvollem Stadthaus in einem Londoner Vorort zum Dinner. Während des Essens, sprach man ununterbrochen über die kurz bevorstehende Jungfernfahrt der "Lusitania" und deren Bedeutung für die Cunard Line im heiß umkämpften Transatlantikverkehr. Man machte sich Gedanken, zwei riesige Luxusdampfer bauen zu lassen, denen noch ein dritter folgen sollte. Der Gedanke zum Bau der "Olympischen Klasse" wurde geboren. Jedes der Schiffe sollte mit 45.000 Bruttoregistertonnen (BRT) um 50% größer sein und mit einer Länge von 269 Metern um 30 Meter länger sein als die "Lusitania"- so groß, das keine Werft der Welt sofort Möglichkeiten zum Bau solcher
Giganten haben sollte. Es gab zu der Zeit weder Trockendocks noch Schwimmkräne in dieser Größe. Weder Southampton noch New York hatten Piers, an denen ein Schiff dieser Größe hätte anlegen können. Luxus und Komfort sollten - vor der Geschwindigkeit - die Hauptattraktion darstellen, wobei die Geschwindigkeit noch hoch genug sein sollte, um den Atlantik innerhalb einer Woche zu überqueren. Der Verzicht auf neue Geschwindigkeitsrekorde, hatte zum Vorteil, daß das Schiff nicht unter den starken Vibrationen der Maschinen leiden müßte. Bald nahmen die ersten Gedanken Form an, und Pirrie ließ bei Harland &Wolff drei Docks zu zweien zusammenlegen, um den großen Schiffen Raum zu bieten. Währendessen
verhandelte J. Bruce Ismay mit der New Yorker Hafenbehörde, welche größere Piers bauen sollte. Man beauftragte als bald eine Horde von technischen Zeichnern und Konstrukteuren mit der Planung der Schiffe. Anfänglich hatte man die Schiffe mit drei Schornsteinen ausstatten wollen, doch aus ästhetischen - nicht etwa aus technischen - Gründen plädierte Pirrie für vier. Man brachte in damaliger Zeit die Anzahl der Schornsteine gerne im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit eines Schiffes.
Am 16. Dezember 1908 - fast genau ein Jahr nach dem Treffen in Pirries Stadthaus - legte man in der Werft die erste Kielplatte für die "OLYMPIC", wie sie später getauft wurde. Und bereits drei Monate später, am 31. März 1909, konnte man diesen Arbeitsschritt für die "TITANIC" wiederholen. Währendessen wurden immer noch heftige bürokratische Diskussionen geführt, da die New Yorker Hafenbehörde immer noch nicht genehmigen wollte, das der White Star Pier verlängert würde. Nachdem man auch in den Staaten - der neuen Welt - erkannte, welch ein Profit sich mit diesen "Riesenschiffen" doch machen ließe, erteilte man die Genehmigung, und der Pier wurde verlängert. Zwar ohne Champagnertaufe, doch mit dem ansonsten üblichen Zeremoniell wurde die "OLYMPIC" am 20.Oktober 1910 Heck voraus im River Lagan vom Stapel gelassen. Die komplizierten mechanischen Arrangements, die von Lord Pirrie persönlich beaufsichtig wurden, verliefen völlig reibungslos. Zu diesem Zeitpunkt wog sie 24.600 t. Ihr Weg in Wasser wurde durch 23 t Schmiere erleichtert; in der ersten Minute, in der sie sich
bewegte, schaffte sie kaum mehr als ihre eigene Länge und erreichte eine Geschwindigkeit von zwölfeinhalb Knoten, bevor sie sechs Anker und 80 t Drahtseile zum Stehen brachten.
Am 31. Mai 1911 standen J.P. Morgan , Bruce Ismay und seine Tochter Margaret, Lord und Lady Pirrie, der Bürgermeister von Belfast und zahlreiche andere Würdenträger auf einer rot-weiß drapierten Tribüne der Harland & Wolff-Werft. Vor ihnen ragte der 26.000 t schwere, schwarz gestrichene Rumpf der "TITANIC" auf. Am Bug waren drei Tribünen aufgebaut - zwei für zahlende Zuschauer und einer für mehr als 100 Presseleute. Mehr als 100.000 Schaulustige wurden mit Sonderzügen nach Belfast transportiert. Die Stadtbetriebe von Belfast fuhren an dem Tag fast ausschließlich zur Harland & Wolff-Werft hinaus. Tausende von Menschen standen an den Ufern des River Lagan. Der Fluß war eigens ausgebaggert worden, da die "OLYMPIC" und die "TITANIC" mit ihren 11 Metern Tiefgang andernfalls auf Grund gelaufen wären.
Obwohl die beiden Schiffe in ihren Proportionen gleich bemessen, war die "TITANIC" doch um 1004 BRT schwerer und vor allem luxuriöser ausgestattet als die "OLYMPIC". Wie bei Harland & Wolff und White Star üblich, wurde wie bei der "OLYMPIC" auch bei der "TITANIC" auf die Schiffstaufe verzichtet. Um 12:05 Uhr wurden zwei Raketen abgefeuert, auf die fünf Minuten später eine dritte folgte. Um 12:13 Uhr setzte sich der Rumpf unter dem Druck des Eigengewichtes in Bewegung. Ein atemberaubender Moment trat ein, als die Arbeiter an Bord anfingen, mit Händen und Mützen zu winken und Tausende von Menschen auf der Werft und an den Ufern des River Lagan in Jubel ausbrachen. Die Dampfpfeifen der Schlepper ertönten, die Frauen winkten mit Taschentüchern, während die 269 Meter lange "TITANIC" ins Wasser glitt und nach guten 500 Metern gestoppt wurde. Nachdem das Schiff am Dock fest gemacht wurde, konnten geladene Gäste am ersten Launch auf der "TITANIC", in einem eigens dafür schon eingerichteten Raum, teilnehmen. Am selben Tag überreichten Harland & Wolff die "OLYMPIC" stolz der White Star Line, welche dann am 14. Juni 1911 mit ihrer Jungfernfahrt ein neues Kapitel in der Geschichte des Transatlantikverkehr einläuten sollte.
"Sie sollen die luxuriösesten und größten Schiffe der Welt sein." -J.Bruce Ismay-
Sofort nach ihrer Fertigstellung erhielt sie Spitznamen wie "Liebling der Millionäre" oder "das letzte Wort in Sachen Luxus". Die "Olympische-Klasse" verfügte über acht Hauptdecks; das Bootsdeck mit der Kommandobrücke am vorderen Ende, sowie die Decks A (ganz oben) bis Deck G (ganz unten), das Orlop-Deck direkt über dem Boden nicht mitgerechnet. Deck B bestand aus drei "Inseln", die durch Zwischendecks getrennt wurden: dem Vorder- und Brückendeck sowie dem Heck. Während und nach der Zeit im Dock verwandelte eine Heerschar von Monteuren, Tischlern, Schiffszimmerleuten, Elektrikern und anderen Spezialisten das Innere des Schiffes in eine schwimmende Stadt. Die Erste Klasse mit dem Squash-Court, der Sporthalle, dem
Schwimmbad und dem türkischen Dampfbad, den breiten Promenaden und den Glasdächern über einigen öffentlichen Plätzen erinnerte an einen postviktorianischen Badeort. Den eindrucksvollste Anblick, den die Titanic in ihrem Inneren zu bieten hatte, war zweifellos das vordere der beiden Treppenhäuser. Wer von einem Spaziergang auf dem Bootsdeck zurückkehrte, stand plötzlich unter einer Eisen-Glas-Kuppel, durch die das Licht hereinfiel und von den polierten Eichenpaneelen, den kunstvoll
gearbeiteten und vergoldeten Balustraden reflektiert wurde. Auf der obersten Etage war in eine großflächige Wandvertäfelung eine von zwei klassischen Figuren - dem Ruhm und der Ehre, die Zeit zu krönen - flankierte Uhr eingelassen. Der größte Raum den Schiffes war der Speisesaal der Ersten Klasse mit über 35 Metern Länge, eingerichtet im Jakobinischen Stil und mit verbleiten Fenstern versehen. Vier Suiten, deren Bewohner über einen eigenen Salon verfügen konnten, waren die teuersten Quartiere an Bord. Jede Suite hatte ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, zwei Garderoben, ein eigenes Bad und eine Toilette. Bruce Ismay bewohnte auf der Fahrt eine solche Kabine, zu der noch außerdem eine 15 Meter lange Privatpromenade gehörte. Der mit farbenprächtigen Fliesen, vergoldeten Säulen und Bronzelampen reich verzierte Ruheraum des Türkischen Bades war ein orientalischer Traum. Der auch als Schwimmbecken bezeichnete "Pool" auf dem F-Deck, war eine Neuheit auf der "OLYMPIC" wie auf der "TITANIC". Das britische Handelsjournal "The Shipbuilder" berichtete über den Gymnastikraum: "...die Passagiere können hier auf Spezialgeräten reiten, fahrradfahren, rudern etc. und das Amüsement mit der Körperertüchtigung verbinden." Der auf der Steuerbordseite (rechts), nahe dem Eingang der Erste Klasse gelegenen Gymnastikraum, hatte hohe Bogenfenster die aufs Bootsdeck hinausgingen. Auf der "TITANIC" und der "OLYMPIC" reisende Passagiere der Zweiten Klasse genossen die Bequemlichkeiten, wie sie auf anderen Dampfern damals sonst nur die Erste Klasse bot. Obwohl im Vergleich zu den luxuriösen Räumen auf den oberen Decks spartanisch, waren die Unterbringungen in der Dritten Klasse trotzdem bequemer, als viele der Passagiere es von daheim gewohnt waren. Die Dritte-Klasse-Kabinen lagen meistens in den unteren, weniger attraktiven Teilen des Schiffes, und alleinreisende Männer und Frauen waren durch eine ganze Schiffslänge voneinander getrennt. Die Männer waren im Bug, die Frauen im Heck untergebracht.
Familien bewohnten allerdings gemeinsam kleine, aber doch relativ bequeme Kabinen.

Technik der "Olympischen"

Der Abstand zwischen den senkrechten Trägern, die entlang des 269 Metern langen und an seiner breitesten Stelle gut 28 Metern breiten Rumpfes befestigt waren, betrug jeweils ein Yard (91,4cm) Der ungefähr 1,6 Meter (fünf Fuß, drei Zoll) dicke doppelte Boden des Schiffes war zwischen dem Kiel und den Seitenwänden fast flach, was dem Hauptteil des Rumpfes eine starke und sehr voluminöse Schachtelform verlieh. Allein für den Boden wurden eine halbe Million Nieten, die zusammen 270 t wogen, verbraucht, ein Sechstel des Gesamtbedarfs, um das ganze Schiff zusammenzuhalten.
Das Steuerruder wurde aus sechs Teilen (gegossenem Stahl) gefertigt und erreichte eine Höhe von 24 Metern und wog 101 t.  Drei Schiffsschrauben wurden montiert. Die beiden äußeren (dreiblättrig) mit 7m Durchmesser und die innere (vierblättrig) mit 4,3m Durchmesser. Die Hauptantriebskraft stammte aus zwei dampfangetriebenen, dreifach verstärkten Vier-Zylinder-Kolbenmotoren, die von Harland & Wolff gebaut worden waren. Hinter ihnen war eine 420-Tonnen-Tiefdruck-Turbine von Parson angebracht, welche die dritte, zentrale Schiffsschraube
antrieb, indem sie den Dampf der beiden Hauptaggregate wiederverwendete. Aus diesem Grund lief die mittlere Schraube auch nur bei Vorausfahrt. Sobald die Maschinen auf Fahrt zurück liefen, blieb die mittlere Schiffsschraube stehen. Die Hauptmotoren
erreichten bei 75 Umdrehungen pro Minute je 15.000 PS; ohne die Leistung des Turbinenmotors, der weitere 16.000 PS lieferte (nur bei Fahrt voraus), genügte das, um 21 Knoten zu erreichen. Der Dampf wurde von insgesamt 29 Heizkesseln geliefert, die in sechs von hinten nach vorn durchnumerierten Kesselräumen untergebracht waren, und zusammen 159 Öfen beherbergten. Der Treibstoff kam aus den Kohlebunkern, die entlang des Schiffes vor und hinter jedem Kesselraum installiert waren. Die Bunker verfügten insgesamt über eine Kapazität von 8000 Tonnen, wovon bei "Voller Kraft Voraus" über 650 t pro Tag verfeuert wurden. Zwei Tiefkühlmotoren standen im Maschinenraum auf der Backbordseite (links); vier dampfangetriebene 400-Kilowatt-Generatoren mit Dynamos waren ebenfalls im Maschinenraum angeordnet, um - unter anderem- elektrischen Strom für 150 einzelne elektrische Motoren an Bord zu erzeugen. Zur Kommunikation stand ein 50 Anschlüsse starkes Telefonnetz zu Verfügung. Mit Strom betrieben wurde auch der Funkapparat von Marconi, dessen Reichweite von 350 Meilen (nachts wesentlich weiter) vom Hersteller garantiert worden war. Das in einem Funkhaus auf dem Bootsdeck untergebrachte Gerät war mit einer Antenne verbunden, die zwischen den Masten eine doppelte Schlaufe bildete und gut 60 Meter über der See schwebte. Über insgesamt 1500 elektrische Klingeln konnte man sich einen Steward auf sein Quartier bestellen. Durch eine Schotten-Konstruktion, wurden die Schiffe durch 15 Schotten in 16 wasserdichte Abteilungen aufgeteilt. Alle Schotten konnten
von der Brücke aus, mittels eines kleinen Hebels elektrisch geschlossen werden, um bei einem Wassereinbruch das Vollaufen des Schiffes zu verhindern. Das Schutzdeck (C) war das höchste im Rumpf; doch von den 15 Schotten reichte eins nur bis Deck F, acht endeten beim E- und lediglich vier beim D-Deck. Die Tatsache, daß alle 15 Schotten um mind. 75cm die Wasseroberfläche überragten, wurde für die damaligen Sicherheitsvorkehrungen als ausreichend eingestuft. Die Schiffe wurden so gebaut, daß sie einen Frontalzusammenstoß oder einen Zusammenstoß an ihrer Breitseite ohne große Probleme überstehen konnten. "Praktisch unsinkbar" schrieb damals die anerkannte Zeitschrift "The Shipbuilder". Die Schiffseigner selber hatten eine solche Aussage nie getroffen. 


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